Schätzung bei Steuererklärungen auf Papier

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Seit dem Veranlagungszeitraum 2011 ist die elektronisch übermittelte Steuererklärung verbindlich vorgesehen. Trotz genügend langer Vorbereitungszeit kam es seitens der Finanzverwaltungen zu Hindernissen. Dies führte dazu, dass viele Steuererklärungen zu Beginn des Jahres 2012 erst noch einmal nur auf Papier eingereicht wurden. Der folgende Beitrag befasst sich mit der Frage, welche Folgen mit einer nicht elektronisch übermittelten Erklärung einhergehen.

1. Standardfall: elektronische Übermittlung

Bei Gewinneinkünften der §§ 13 bis 18 EStG verlangt das Gesetz seit dem Veranlagungszeitraum 2011, dass die Steuererklärung elektronisch übermittelt wird. Dies folgt aus § 25 Abs. 4 EStG, obwohl in Absatz 3 der Vorschrift weiterhin die eigenhändige Unterschrift vorgesehen ist. Technisch geschieht dies durch zwei Verfahren:

  • entweder die einfache Übermittlung und Nachreichung der der unterschriebenen komprimierten Erklärung;
  • oder die ausschließlich authentifizierte Übermittlung gänzlich ohne Papier.

Für Körperschaften gilt dies über § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG entsprechend. Allerdings sieht die Finanzverwaltung hierfür ausschließlich die authentifizierte Übermittlung der Steuererklärung vor. Eine nachzureichende komprimierte Steuererklärung gibt es nicht.

Bei Übermittlung im Auftrag ist nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheines davon auszugehen, dass die die übermittelte Steuererklärung tatsächlich von dem betreffenden Steuerpflichtigen genehmigt worden ist (BMF 16.11.2011 Nr. 5 Abs. 2, BStBl 2011 I 1063).

Inwieweit dem Unterschriftserfordernis durch das bloße Authentifizierungsverfahren Genüge getan ist, soll hier undiskutiert bleiben.

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2. Startschwierigkeiten

Gleichwohl die Neuregelung zur elektronisch zu übermittelnden Steuererklärung lange vorbereitet war, kam es je nach Bundesland zu technischen Verzögerungen. So war in Nordrhein-Westfalen die Freigabe der Einkommensteuer-Programmversion 2011 erst zum 1.3.2012 erfolgt. Bis dahin konnten deshalb auch keine Steuererklärungen übermittelt werden. Verzögerungen gab es ebenfalls bei der gesonderten und einheitlichen Erklärung. Für die Körperschaftsteuer war eine Übermittlung erst ab Juni 2012 möglich.

Dennoch oder gerade deshalb reichten die Steuerpflichtigen ihre Erklärungen noch in konventioneller Weise beim Finanzamt ein. Diese wurden dann auch veranlagt. Die daraufhin erlassenen Steuerbescheide enthalten jedoch im Erläuterungsteil den Hinweis, dass die Steuerfestsetzung nach § 162 AO geschätzt worden sei. Verkürzt lautet der Hinweis:

"Sie haben entgegen dieser gesetzlichen Verpflichtung (...) eine Steuererklärung auf Papier abgegeben, daher hat das Finanzamt die von Ihnen angegebenen Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung (§162 AO) diesem Steuerbescheid zugrunde gelegt. Künftig kann Ihr Finanzamt die Steuererklärungen in Papierform nur anerkennen, wenn ein begründeter Antrag zur Anerkennung als Härtefall vorliegt." (Hervorhebungen diess.)

Dieser Hinweis in den Steuerbescheiden wirft verfahrensrechtliche und organisatorische Fragen auf.

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3. Schätzung bei fehlender elektronischer Übermittlung?

Ungeachtet des Umstandes, dass zum Zeitpunkt der Einreichung der Papiererklärung eine Übermittlung noch gar nicht möglich war, irritiert der Anlass für eine Schätzung aufgrund und anhand genau dieser Angaben.

Nach § 162 AO hat die Finanzbehörde Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn sie von ihr nicht ermittelt oder berechnet werden können. Anlassbezogen ist dies bei nicht vorliegender Steuererklärung der Fall. Die Schätzung ist jedoch nicht auf diesen Anwendungsfall beschränkt. Sie umschließt auch den Fall, dass trotz eingereichter Erklärung sich der Tatbestand aus welchem Grund auch immer nicht genau ermitteln lässt.

Im Falle der nicht elektronisch übermittelten, sondern nur auf Papier eingereichten Erklärung stehen die Besteuerungsgrundlagen jedoch fest. Es sind nur die formalen Voraussetzungen nicht erfüllt. Wohl deshalb formuliert die Finanzverwaltung ihren Hinweis in den Steuerbescheiden feinsinnig:

"Die Besteuerungsgrundlagen wurden im Wege der Schätzung zugrunde gelegt"

statt wie sonst üblich: "Das Finanzamt hat die Besteuerungsgrundlagen geschätzt".

Dieser Unterschied zeigt, dass sich die Finanzverwaltung der verfahrensrechtlichen Problemstellung ihres Handelns durchaus bewusst ist.

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4. Rechtsfolgen

a) Dreijährige Anlaufhemmung?

Die Annahme einer nicht wirksam eingereichten Steuererklärung hätte jedoch weitreichende Folgen auf die Festsetzungsfrist. Mangels Vorliegen einer wirksamen Steuererklärung liefe diese dann nämlich erst drei Jahre nach Ablauf des betroffenen Veranlagungszeitraumes an, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Die allgemeinen Festsetzungsfristen würden sich entsprechend verlängern - meistens zu Ungunsten der Steuerpflichtigen in Fällen der Betriebsprüfung und der Steuerverkürzung.

b) Fehlendes Zählobjekt im Kontingentierungsverfahren?

Für die Verlängerung der Abgabefristen über den 31.12. hinaus wurde in einzelnen Bundesländern das Kontingentierungsverfahren eingeführt. Sofern bei fehlender elektronischer Übermittlung der Steuerfall aus der Zählung fiele, würde hierdurch die Statistik für den betroffenen Steuerberater "kaputt gemacht werden".

c) Fehlende Stundungs- und Erlasswürdigkeit?

In gleicher Weise hätte die Annahme einer nicht eingereichten Steuererklärung Folgen bei der späteren Beurteilung der Stundungs- und Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen.

5. Keine wirksame Steuererklärung nur in Papierform?

Rein formal hat die Finanzverwaltung Recht: Soweit das Gesetz die elektronische Übermittlung vorsieht, ist diese Pflicht zu erfüllen. Doch verlangt das Gesetz für nach wie vor auch eine Unterschrift der Erklärung und dies auch in Fällen der authentifizierten Übermittlung. Eine solche Unterschrift liegt bei Letzterem - jedenfalls gegenüber der Finanzverwaltung - gar nicht vor.

Deshalb stellt sich die Frage, ob es sich bei der Übermittlung in elektronischer Form um eine Haupt- oder Nebenpflicht zur Steuererklärung handelt. M.E. ist Letzteres zu bejahen. Dies folgt aus dem Umstand, dass eben das Einkommensteuergesetz die Unterschrift weiterhin verlangt und damit eben die schriftlich verkörperte Erklärung zur Grundlage der Steuerfestsetzung macht.

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6. Auswege

Zwei Rechtsansichten für die Annahme einer wirksam, nur in Papierform abgegebenen Steuererklärung bieten sich deshalb an:

  • Heilung eines Verstosses gegen eine bloße Nebenpflicht durch die Papiererklärung;
  • konkludenter Verzicht der Finanzbehörde auf eine elektronische Übermittlung durch Bescheidung aufgrund der Papiererklärung nach Treu und Glauben, § 242 BGB.

Insbesondere die letzte Auffassung dürfte wohl auch der Ansicht der Finanzverwaltung entsprechen. Diese formuliert hierzu im Erläuterungsteil des Bescheides:

"Künftig kann Ihr Finanzamt die Steuererklärungen in Papierform nur anerkennen, wenn ..."

Die gegenwärtig eingereichte Papiererklärung wurde also nach dieser Formulierung anerkannt. Dann aber verzichtet die Finanzverwaltung in einem solchen Fall auf eine elektronische Übermittlung und lässt die Papiererklärung als solche gelten und ihren Anspruch auf elektronische Übermittlung fallen.

Die bloße Papiererklärung wäre danach wirksam. Eine Schätzung läge dann im Ergebnis gar nicht vor. Insbesondere die Rechtsfolge des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO träte nicht ein.

Pikanterweise hatte der BFH für die Rechtslage bis einschließlich 2010 bereits in diesem Sinne entscheiden: Wenn ein anderer als der Steuerschuldner bzw. dessen organschaftlicher Vertreter bei Kapitalgesellschaften die Steuererklärung in Kenntnis des Finanzamtes unterzeichnet hat, gilt sie entgegen § 150 Abs. 3 AO als Steuerklärung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Dies jedenfalls dann, wenn das Finanzamt aus der Steuerklärung die richtigen Schlüsse auf den Steuerschuldner und die zu veranlagende Steuer ziehen kann und aufgrund dessen die Veranlagung durchführt, BFH 8.3.1979 IV R 75/76, BFH 10.11.2001 - V B 190/01.

Für die rechtssichere Handhabung der nicht elektronisch übermittelten Steuererklärungen wäre zumindest eine Weisung des BMF hilfreich. Dies umso mehr, als das Verlangen nach elektronisch übermittelten Steuererklärungen ausdrücklich die vorgeblich organisatorischen Erfordernisse der Finanzbehörden befriedigen soll.

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7. Nachträgliche Übermittlung der Steuererklärung?

Was aber, wenn man mit dem Hinweis im Bescheid auf eine vermeintliche Schätzung nicht leben mag oder hinsichtlich der Anlaufhemmung sicher gehen möchte ? Dann müsste man die Steuererklärung nachträglich elektronisch übermitteln, ob nun mit komprimierter Erklärung oder authentifiziert. Ungeachtet des organisatorischen Aufwandes gehen damit jedoch weitere Fragen einher. Zwei Fälle wären danach zu unterscheiden:

Fall 1:

Der Bescheid entspricht der zunächst auf Papier eingereichten Erklärung.

Folge: Dann würde die nachträgliche Übermittlung der Steuererklärung zwar wirksam werden. Das Finanzamt erlässt darauf hin jedoch keinen neuen Bescheid ohne den Schätzungshinweis.

Um dennoch einen Bescheid ohne Schätzungsvermerk zu erhalten, könnte und müsste eine vom Bescheid abweichende Erklärung übermittelt werden. Dies löste dann einen Änderung aus, gegen die dann Einspruch unter Hinweis auf die ursprünglich zutreffend erklären Besteuerungsgrundlagen eingelegt werden könnte. Das kann nicht Sinn des Verfahrens der elektronischen Übermittlung sein.

Die nachträgliche Übermittlung kann im Übrigen fristungebunden erfolgen, um die Rechtsfolge der Anlaufhemmung zu vermeiden. Denn für die nachträgliche Einreichung einer Steuererklärung gibt es keine Frist, solange damit keine Änderung der Steuerfestsetzung einhergeht.

Fall 2:

Der Bescheid weicht von der zunächst auf Papier eingereichten Erklärung ab.

Folge: Dann würde die nachträglich übermittelte Steuererklärung - unter Beachtung der Vorschriften zur Änderung von Steuerfestsetzungen (§§ 164, 172, 355 Abs. 1 AO) - einen (konkludenten) Antrag hierauf darstellen.

Interessanterweise soll dies sogar dann gelten, wenn die Formvorschriften für die elektronische Übermittlung nicht beachtet und somit nicht eingehalten worden seien. Hierzu hat das FG Rheinland-Pfalz entschieden, dass eine ohne elektronische Signatur oder ohne Ausdruck der komprimierten Erklärung nach Ablauf der Einspruchsfrist übermittelte Erklärung gleichwohl als schlichter Änderungsantrag anzuerkennen ist. Dies deshalb, weil dafür keine Schriftform vorgeschrieben ist. Dies gilt nach der Entscheidung auch bei erstmaliger Einreichung bzw. Übermittlung einer Steuererklärung nach vorheriger Schätzung, FG Rheinland-Pfalz 21.2.2011 - 5 K 2680/09.

8. Zusammenfassung

Die auf Seiten der Finanzverwaltung verursachte Verzögerung bei der elektronisch zu übermittelnden Steuererklärung führte zu Schätzungsvermerken in den Steuerbescheiden. Verfahrensrechtlich dürfte eine Schätzung durch die Übernahme der Besteuerungsgrundlagen aus der Papiererklärung tatsächlich nicht vorliegen.

Der vermeintliche Verstoß gegen die Pflicht zur Übermittlung dürfte allenfalls eine Nebenpflicht betreffen. Dieser wird durch die Anerkennung der Papiererklärung durch das Finanzamt geheilt. Die Finanzbehörde verzichtet dann nach Treu und Glauben auf eine elektronische Übermittlung. Insbesondere die Anlaufhemmung wegen nicht wirksam eingereichter Steuererklärung dürfte danach nicht greifen.

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