Geltendmachung von Verlusten, die bislang nicht anerkannt waren?

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In den Einzelsteuergesetzen finden sich verschiedene Regelungen, die entstandene Verluste endgültig außer Acht lassen. Dies ist nach jüngster Ansicht des Bundesfinanzhofes nicht verfassungsgemäß. Dieser Beitrag befasst sich mit den aktuellen Verfahren beim BFH zur Rechtsfrage des endgültigen Ausschlusses von Verlusten.

1. Stein des Anstoßes - die Mindestbesteuerung

Insbesondere die sog. Mindestbesteuerung führt zu Regelungen, durch die tatsächlich erlittene Verluste sich im Jahr ihrer Entstehung oder in der Folgezeit nicht vollständig auswirken. Hierzu sei verwiesen auf

Fall 1: Das Unternehmen erleidet einen Verlust. Dieser wird nach den §§ 8 Abs. 1 KStG, 10d Abs. 2 Satz 1 EStG (im Streitfall Fassung 2002) im Entstehungsjahr nur begrenzt verrechnet und im Übrigen vorgetragen. Aufgrund eines Gesellschafterwechsels und nachfolgender Verschmelzung im Folgejahr entfiel der verbliebene Verlustvortrag vollständig nach § 8c KStG.

Dieser Fall war Gegenstand eines Verfahrens zum vorläufigen Rechtschutz vor dem BFH. Das Hauptsacheverfahren war zum Zeitpunkt der BFH-Entscheidung nur als Einspruch anhängig. Eine zeitnahe FG-Entscheidung ist deshalb nicht zu erwarten, so es überhaupt anhängig wird.

2. Rettender Anker - das objektive Nettoprinzip

Erfreulicherweise gewährte der BFH die beantragte AdV und hegte Zweifel an der endgültigen Versagung des Verlustabzuges (Beschluss I B 49/10 vom 26.8.2010). Danach

"ist ernstlich zweifelhaft, ob die sog. Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhält, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen (hier: nach § 8c KStG 2002 n.F.) endgültig ausgeschlossen ist."

Der BFH sieht also die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (objektives Nettoprinzip) durch die Versagung von Verlustabzügen beeinträchtigt. Die ernstlichen Zweifel ergeben sich danach aus der Versagung der Verlustverrechnung allein aus rechtlichen Gründen.

Diese Rechtszweifel sind ebenso in Fällen gegeben, in denen die Verluste aufgrund anderer Rechtsvorschriften versagt werden. Es kommt für den hier zu entscheidenden Fall deshalb m.E. nicht darauf an, ob der Verlustvortrag nach § 10d KStG wegen § 8c KStG (Gesellschafterwechsel) oder wegen §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 3 UmwStG (Verschmelzung) versagt wird. Beides stellt eine Versagung aus rechtlichen Gründen dar.

Bei der Verschmelzung muss der vom untergehenden Unternehmen erzielte Verlust künftig vom aufnehmenden Rechtsträger bzw. Rechtsnachfolger getragen werden. Dieser ist aufgrund der Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolger und übernimmt den zurückliegend verlustträchtigen Betrieb. Wenn dieser Verlust durch die künftigen Gewinnen des Gesamtrechtsnachfolgers wirtschaftlich getragen werden, muss das Steuerrecht dementsprechend folgen und die Übertragung des Verlustes auf diesen ermöglichen.

Hierzu tritt, dass auch bereits der unmittelbar beim Rechtsnachfolger entstehende Übernahmeverlust ohne ertragsteuerliche Auswirkung bleibt, §§ 4 Abs. 6, 12 Abs. 2 UmwStG. Umso weniger kann es sein, dass der Verlustvortrag der Rechtsvorgängerin vollends unberücksichtigt bleibt.

3. Ausländische Verluste trotz Verlustbeschränkung im Betriebsstättenstaat

Auch andere Vorschriften sind von der vorbezeichneten Entscheidung betroffen. Hierzu liegen auch schon Urteile vor:

Fall 2: Ein inländisches Unternehmen erlitt mit seiner französischen Betriebsstätte Verluste. Diese Verluste sind von der deutschen Besteuerung auszunehmen, Art. 20 Abs. 1 a) DBA-Frankreich. Da der Verlustabzug in Frankreich zeitlich beschränkt war und sich der Verlust dort endgültig nicht auswirkte, begehrte das Unternehmen die Verlustverrechnung im Inland.

Hier verneinte der BFH eine Verrechnung der ausländischen Betriebsstättenverluste. Die Begründung ergibt sich seiner Ansicht nach aufgrund der abkommensrechtlich vereinbarten "Symmetrie" der Einkunftsabgrenzung. Anders ausgedrückt: gleich aufgrund welcher Vorschrift ausländische Verluste "endgültig" werden, bleiben sie außen vor, wenn das ausländische Steuerrecht einen Verlustvortrag beschränkt (BFH-Urteil vom 9.6.2010 - I R 100/09).

Diese Auffassung ist nicht zweifelsfrei, denn sie privilegiert den "definitiven Inlandsverlust". Aufgrund der bestehenden Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit innerhalb der EU könnte es hier zu einer Ungleichbehandlung in Fällen wie dem ersten kommen. Anders liegt es nämlich bei

Fall 3: Ein inländisches Unternehmen erlitt mit seiner luxemburgischen Betriebsstätte Verluste. Für diese sah Luxemburg eine gleichartige Verlustbeschränkung vor wie in Deutschland. Es bestand jedoch wegen Beendigung des Auslandsengagements keine Möglichkeit, diese Verluste zukünftig in Luxemburg verrechnen zu können oder auf einen Dritten zu übertragen.

Gestützt auf vorherige Entscheidungen des EuGH (vom 13.12.2005 C-446/03 "Marks & Spencer" und vom 15.5.2008 C-414/06 "Lidl Belgien") bejaht der BFH die Berücksichtigung eines ausländischen Betriebsstättenverlustes im Falle der Aufgabe des Quellenstaatsengagements. Für dessen Umstände trägt der Steuerpflichtige die Beweislast (BFH-Urteil vom 17.7.2008 - I R 84/04 und vom 9.6.2010 - I R 107/09).

Dies soll auch für die Gewerbesteuer gelten, obschon hier nach dem Territorialprinzip bereits keine ausländischen Betriebsstättenergebnisse berücksichtigt werden, § 9 Nr. 3 GewStG. In der Literatur wird deshalb bezweifelt, dass sich ausländische Betriebsstättenverluste mit der körperschaftsteuerlichen "symmetrischen Freistellung" eines DBA auch beim Gewerbeertrag berücksichtigen lassen (R. Gebhardt/Quilitzsch, FR 2011 S. 360).

4. Abgrenzung zum Betriebsausgabenverbot

Von den skizzierten Fällen des Verlustwegfalles aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen sind die Regelungen zum Betriebsausgabenkürzung zu unterscheiden. Hier hat der Gesetzgeber unmittelbar bei der Einkunftsquelle den Abzug von Aufwendungen dem Grunde oder der Höhe nach begrenzt. Es handelt sich hier vor allem um die Vorschrift des § 4 Abs. 5 EStG und zum Halbeinkünfteverfahren, aber auch zum Übernahmeverlust nach § 4 Abs. 6 UmwStG. Derartige Beschränkungen von Betriebsausgaben verstoßen (noch) nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Die Versagung solcher Aufwendungen ist nicht zu vergleichen mit dem Wegfall zuvor anerkannter Verluste.

5. Verlustabzug als Billigkeitsmaßnahme?

Neben den bereits von den Gerichten entwickelten Rechtsgrundsätzen ist es auch denkbar, einen erlittenen Verlust im Wege der Billigkeitsmaßnahme anzuerkennen. Dieser Aspekt scheint streitrelevanter zu sein, als es auf den ersten Blick aussieht. Immerhin gleich drei Revisionsverfahren sind hierzu beim IV. Senat des BFH anhängig (29/10, 36/10, 43/10). Die Besonderheit: alle drei Verfahren beschäftigen sich alleinig mit der Mindestbesteuerung bei inländischen Verlusten im Rahmen der Gewerbesteuer nach § 10a Satz 2 GewStG (Untergang nach Betriebsbeendigung).

Wer sich auf eine Billigkeitsmaßnahme beruft, sollte prüfen, ob nicht zunächst die Voraussetzungen nach dem Sanierungserlass einschlägig sind. Dann nämlich lässt sich ein aufwendiges Klageverfahren ggf. vermeiden (BMF vom 27.3.2003, BStBl 2003 I 240).

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